
Ding
Muh-Muh die grüne Hoffnungskuh
Produktion / Vertrieb
unbekannt
Datierung
1945-1949
Geographischer Bezug
Deutschland
Material
Holz
1Maẞe (H × B × T)
12.5 × 16 × 6.5 cm
Inventar-Nr.
O 5392
Sammlungsbereich
Notprodukte
Pflegebetrag
30
Iris Brandenburg
30€
Im Museum der Dinge, dieser herrlichen Schatz- und Wunderkammer der Gebrauchsgegenstände, bestaune und bewundere ich bei meinen vielen Besuchen immer neue Ausstellungen, andere Objekte, veränderte Präsentationen. Aber jedes Mal bleibe ich bei diesem so bescheidenen wie bewegenden Objekt hängen, bei MUH-MUH, der grünen Hoffnungskuh. Während der Zeit größter Not, gegen Ende der Naziherrschaft, des vernichtenden und menschenverachtenden Krieges oder der Jahre kurz danach hat ein liebender Vater dieses kleine, einfache Bricolage-Objekt für sein Kind bemalt und beschriftet. Grün, in der Farbe der Hoffnung, mit einem kurzen selbstverfassten Gedicht, das dem hungernden Kind Hoffnung machen sollte. Wie intensiv das Kind damit gespielt hat, lässt sich an den deutlichen Gebrauchsspuren ablesen, der dünne Schwanz (Kuhhaar?) ist vom häufigen Einsatz arg zerfleddert. Umso höher ist es dem Museum der Dinge anzurechnen, ein so unscheinbares privates Erinnerungsstück zwischen all den bekannten Namen, Marken und Design-Ikonen liebevoll aufzubewahren und gleichberechtigt auszustellen.In unseren Zeiten von Fehl- und Überernährung, massenweiser Vernichtung von Lebensmitteln, umweltzerstörender Agrarindustrie, Überproduktion und gleichzeitiger Unterversorgung andernorts, in denen ein erschreckender Prozentsatz europäischer Kindern, also kleiner Konsumenten, glaubt, Kühe seien lila, spricht dieses etwa 70 Jahre alte armselige Spielzeug zu uns Wohlstandsbürgern wie ein Memento an erlittenen Mangel, traumatisierte Kindheit, Hunger, Verlust, Todesangst und Überlebenswillen. Unsere Luxusprobleme hingegen lauten Überproduktion, Wohlstandsmüll, überquellende Warenregale und Kinderzimmer. Die kleine grüne Kuh lässt uns gerührt innehalten und beschämt in die Vergangenheit zurückblicken. Als Nachgeborene fühlen wir uns erleichtert zu wissen, dass sich der Herzenswunsch des Vaters bald schon erfüllen sollte. Wie die "Siegermächte", etwa Großbritannien und die USA, während des zweiten Weltkriegs genauso unter Hunger und Mangel zu leiden hatten und sich noch lange Jahre nach Kriegsende mit Lebensmittel-Rationierung arrangieren mussten (in GB konnte die letzte Rationierung, auf Fleisch, erst 1954 aufgehoben werden), ist heute in der Literatur noch sehr eindrücklich nachzulesen in den Büchern von MFK Fisher, z.B. "How to cook a wolf", 1942, oder "84, Charing Cross Road" von Helene Hanff. Die Kriegsverlierer jedoch sahen bald die fetten Jahre des erblühenden Wirtschaftswunders heraufziehen. Und schon 1960 konnte Johannes Mario Simmel süffisant konstatieren "Es muss nicht immer Kaviar sein". Von derlei Delikatessen konnte unsere grüne Hoffnungskuh noch nicht einmal träumen...